Der Menschen Feind

Autor*in(nen)
Theater, nach Molière, UA: 14.04.2016, Theater Basel
Inhalt

Der Menschenfeind Alceste hat sich kompromisslos der Ehrlichkeit verschrieben. Ihm sind geheuchelte Freundschaften genauso zuwider wie falsches Lob und gelogene Gefühle. Seine Mitmenschen stösst er allerdings mit dem radikalen Anspruch, in jeder Situation unverblümt aufrichtig zu sein, vor den Kopf und macht sich in der feinen Gesellschaft mehr Feinde als Freunde.

Als er sich in die schöne, lebenslustige Witwe Célimène verliebt, die alle von ihm verhassten menschlichen Schwächen in sich vereint und lustvoll auslebt, wird Alcestes Traum von einer bedingungslos ehrlichen Welt endgültig zerschlagen. Seine überzogenen und doch redlichen Ideale entlarven den traurigen Moralisten auf komischrührende Weise.

Spontan würden wohl die meisten Menschen eine ehrliche Gesellschaft befürworten. Aber ist ein Miteinander komplett ohne Trug und Schein tatsächlich erstrebenswert? Oder ist das Verschweigen von gewissen Tatsachen und Wahrheiten aus Höflichkeit nicht wesentlicher Bestandteil des zivilen Umgangs? Ist denn die Wahrheit überhaupt zumutbar???

Die Angst des Licht'schen MENSCHEN FEINDES ist die eines Melancholikers. Sein ›wunderbarer systemtheoretisch abgefederter Welt-Ekel‹ (Deutschlandradio) ist der des satten Europäers, der ahnt, daß hinter seiner Abscheu gegenüber seinen Mitmenschen - oder auch nur der Metrosexualität ihrer nackten FlipFlop-Zehen - eine ausweglose Depression lauert. Das Ausmaß von Egoismus, das Lichts Alceste zum sozialen Sprengstoffgürtel macht, ist die - in diesem Fall hochkomische - Kehrseite unserer Unfähigkeit zum Mitgefühl.

Der gefeierte Musiker und Autor PeterLicht richtet diese grundsätzlichen Fragen, welche Molière in seiner Komödie aus dem Jahre 1667 aufwirft, an seine Zeitgenossen. Mit grosser Zartheit vereint er in seinen Texten Komik und Schmerz sowie Irrsinn und Hysterie. Nach DER GEIZIGE bearbeitet er nun zum zweiten Mal ein Lustspiel des französischen Dramatikers.

Eingeladen zur 45. Biennale Venedig 2017

Auszug

ALCESTE. Und was mich am meisten nervt: daß ich der Einzige bin, der erkannt hat, wie unokay alles ist. Es gibt im Zusammenhang mit der Unokayheit der Welt nur drei Gruppen von Leuten. Zu einer gehört man. Es gibt kein Entrinnen: Die eine Gruppe sind all die Leute, die einfach nicht okay sind, wie sie sind. Was die mich nerven! Ich könnte ein Stuhlbein abreißen. Die zweite Gruppe sind all die Leute, die zwar eigentlich okay sind, die aber nicht erkennen, wie unokay die Gruppe 1 ist, was dann dazu führt, daß die Gruppe 2 zu einem Sammelbecken von ebenfalls unokayen Leuten wird, die die Unokayheit gewissermaßen verdoppeln, weil diese Gruppe ja eigentlich gar nicht unokay sein müßte, sondern vielmehr gute Chancen zur Okayheit hätte. Was mich diese Gruppe 2 nervt! Ich könnte zwei Stuhlbeine abreißen! Ja, und dann gibt es noch die letzte Gruppe, die dritte Gruppe, die ist etwas kleiner. Genau genommen ziemlich klein. Sie besteht nur aus wenigen, man könnte sagen aus Auserwählten. Hier sind nur wenige drin, aber es sind die Entscheidenden. Die Gruppe besteht aus sehr, sehr wenigen Leuten, man kann hier eine Vereinzelung feststellen. Die dritte Gruppe besteht eigentlich nur aus einem: also aus MIR. Also ich. Es ist mit mir nur einer da. Die Leute aus der Gruppe 3 sind die, die erkannt haben, wie unokay alles ist, und die in der ganzen unvorstellbaren Breite der Bedeutung die Unokayheit der Welt verstanden haben. Sie haben erkannt, wie unokay die Mitglieder der Gruppe 1 sind und wie verheerend unokay die fehlerhafte Nichtunokayfindung der Gruppe 1 durch die Mitglieder der Gruppe 2 tatsächlich ist. Man könnte diese Leute visionär oder hellsichtig nennen. Aber ich habe bis jetzt noch niemanden getroffen, der das getan hätte. Also ok. Tu ich es. Einer muß es ja machen. Also das ist die Gruppe der Visionären.