Niemand hat gesagt es ist einfach

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Theater, Hörspiel, Ursendung WDR: 23.10.2017, noch frei zur UA
Inhalt

Josephin, Zahra, Einhorn und Kaspar sind um die 16 und vermutlich Klassenkameraden. Als wir sie kennen lernen, sind Josephin, genannt Jose, und Kaspar ein Paar, während Zahra und Einhorn das schon hinter sich haben.

Josephin lebt mir ihrer medikamentensüchtigen Künstler-Mutter Saskia zusammen, Kaspars Eltern sind Sandra und Nils, Zahra hat die exzentrische Opern-Diva Anna zur Mutter, die mit dem jugendlichen Liebhaber Moritz zusammen ist, und Einhorn schließlich verdankt einer Leihmutter sein Leben, welche seine schwulen Eltern Vinzenz und Frank seinerzeit engagiert haben.

Die Jugendlichen leiden auf unterschiedliche Weise an ihren Lebensverhältnissen und vor allem ihren Elternhäusern. Dabei sehen sie sich, während sie selber um ihren Platz im Leben ringen, Erwachsenen gegenüber, die größtenteils nicht als Role-Model taugen. Der Autor Nils steht auf minderjährige Mädchen, Künstlerin Saskia dämmert im Medikamentenrausch dahin und bringt es in ihrer Kunst zu nichts; Anna hat, als Zahra noch klein war, offenbar wenig auf deren Belange gegeben und sich voll auf ihre Opernkarriere konzentriert, die sie durch die ganze Welt führte – eine Egozentrik und ein eitler Jugendwahn, der sie heutzutage mit einem Mann zusammensein läßt, der eher zu ihrer Tochter passen würde. Lediglich das schwule Pärchen verströmt eine bürgerliche Gesetztheit, die fast beruhigend wirkt, wenn auch klar wird, daß ihre Erziehung immer etwas Zwanghaftes hatte.

Die soziale Tektonik verschiebt sich: Kaspar trennt sich von Josephin und gesteht, daß er schwul ist. Einhorn beginnt ebenfalls, endlich zu seiner Homosexualität zu stehen; und nach den gescheiterten und unerfüllten Beziehungen wird auch Josephin und Zahra schließlich klar, daß es sie zum eigenen Geschlecht hinzieht.

Nach einiger Abstinenz als Autorin schließt Juliane Kann mit ihrem neuen Text an die furiosen Jugendstücke an, für die sie zurecht hoch gelobt und mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde. Wieder gelingt es Kann, die Perspektive der Jugendlichen einzunehmen, so daß wir die Welt durch ihre Augen wahrnehmen und ihren Blicken folgen. Die Erwachsenen leben wie Aliens an der Peripherie des Stücks.

Juliane Kann erzählt einfühlsam und zugleich ungerührt vom Befremden der Jugendlichen, denen ihre Rolle als Kinder nicht gestattet wird, weil die Eltern sich auf ihrer haltlosen Sinnsuche selber wie Kinder gebärden. Somit müssen die Kinder Verantwortung übernehmen, reflektiert handeln, ihre eigenen Eltern in der Spur zu halten versuchen. Erst als sie beginnen, diese Verantwortung abzulehnen, finden sie selber den Platz, der ihnen tatsächlich entspricht.

Damit beschreibt die Autorin ein großes und relevantes Thema. Wie sollen Kinder zu freien, mündigen Erwachsenen werden, wenn die Eltern ihrerseits nur durchs Leben taumeln? Mit einem starken Thema und einer klaren Ästhetik schreibt Juliane Kann die früheren Geschichten der haltlosen Kinder fort, die zu haltlosen Eltern geworden sind.