Die europäische Wildnis – eine Odyssee

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Theater, UA: 11.05.2016, Ruhrfestspiele Recklinghausen / Schauspiel Frankfurt
Inhalt

Der Archetyp eines Albtraums. Ein leeres Flugzeug im Sturzflug, das Cock-Pit verwaist - die Sitzreihen, wie eine seltsame Arche, voller wilder Tiere.

Der Traum endet, aus den Kreaturen werden Wartende am Terminal. »Da ist wieder was passiert«. Die aufgebrachte Kurzurlauberin mit aufgebrauchter Geduld vermutet hinter den verspäteten Flügen sogleich das Schlimmste. Vielleicht erzeugt auch der bärtige Turbanträger neben ihr diese moderne Hysterie. Offene Gesellschaft, offene Flanken.

Ein Mann im Anzug befindet sich zwecks Statementverkündung auf dem Weg zu einer Katastrophe an einem Mittelmeerstrand. Auch Deutsche unter den Opfern. Journalisten-Getümmel, Leichensäcke im Sand. Doch der tragische Segel-Unfall wächst sich zum mittelschweren PR-Desaster aus; neben deutschen Hobbyseglern, die ihre Fähigkeiten offensichtlich überschätzt haben, liegen - einige Meter entfernt - ertrunkene Flüchtlinge herum. Für die ist der Herr aus Berlin allerdings nicht angereist. Die Situation eskaliert, als die standardisierte Trauer vor den falschen Leichen bekundet wird. Der Tod - vor allem im Gewand des Leichensackes - macht dann doch alle wieder gleich, wobei: das deutsche Beileid gilt in diesem Fall eben nur den staatsbürgerlich zugehörigen Leichen.

In einem Konvolut aus Bildern und Szenen lotet Sascha Hargesheimer unseren immer kleiner werdenden Handlungsspielraum aus, der uns zwischen Political Correctness, Gefühlskälte, Überforderung, sogenannten »Sprachverboten« und Tabus vermeintlich bleibt. Uns begegnen Menschen irrlichternd an modernen Nicht-Orten: an Flughäfen, in Zügen, Straßen, Krankenhäusern. Die Heimat ist verloren, umso mehr gilt es einen Rest von Territorium zu verteidigen und Grenzen zu ziehen. Aus der sehnsüchtigen Reise ist ein lähmender Stillstand geworden.

Geschickt spielt Hargesheimer hier mit Motiven aus der Odyssee und beschreibt unterschiedliche Schicksale von Zuflucht- und Heimatsuchenden im Kontext unserer auseinanderrutschenden Zeit. Dabei entsteht ein europäisches Sittenbild, in dem wir uns mit Schamesröte im Gesicht selbst erkennen: uns, die wir auseinanderfallen, die wir zulassen, was mit den hehren ›europäischen Werten‹ an Schindluder getrieben wird. Wir, eine Gesellschaft, die überfordert ist mit sich selbst und jeden Halt zu verlieren droht.