Figueroa mit großem Borchert

Mit Borcherts »Draußen vor der Tür« hat Adrian Figueroa einen sensationellen Einstand auf der großen Bühne in Düsseldorf gefeiert. In der mit stehendem Applaus bedachten Premiere hat Dorothea Marcus auf nachtkritik.de einen »sehenswerten, verstörenden Abend« gesehen. Sie schreibt: »Ein gewaltiger Kampf der philosophischen Konzepte wurde hier inszeniert, ein Psychogramm des menschlichen Untergangs, eine beeindruckende Innenansicht einer krank gewordenen Seele.« Figueroa erzählt das Kriegsheimkehrerdrama in großen, drängenden, dystopischen Bildern. In dieser Inszenierung habe das alles, schreibt die Westdeutsche Zeitung, »auch nach 77 Jahren nichts an Intensität und Aktualität eingebüßt«.

Adrian Figueroa hatte zuvor in Düsseldorf Herrndorfs »Arbeit und Struktur« auf die Bühne gebracht und war mit dieser Inszenierung zu »radikal jung« eingeladen. Neben seinen Theaterarbeiten findet Figueroa auch als Filmemacher große Beachtung, zuletzt u. a. mit seinem vielfach preisgekrönten Kurzfilm »Proll!«.

Maria Magda

von Svenja Viola Bungarten

In Bungartens drittem Stück MARIA MAGDA trifft Horror auf Diskurs. Maria ist eine Schläferin und wird von ihren verzweifelten Eltern auf ein Kloster-Internat für schwer erziehbare Mädchen geschickt. Es heißt im Kloster der Magdalenerinnen sei einst der Hexenjäger Heinrich Kramer bei lebendigem Leibe verbrannt worden. Es heißt sein Geist geht um. Oder ist es doch der heilige Geist höchstpersönlich? Erst vor zwei Monaten ist ein Mädchen verschwunden. Das Mädchen, in dessen Bett nun Maria schlafen soll. Was verheimlicht ihre neue Zimmernachbarin Magda, welche verborgenen Kräfte schlummern in ihrer Freundin Hildie und was summt die Oberschwester Mutter Väterin nachts allein auf dem Gang vor sich hin? Wer ist hier Hexe und wer ist Nonne? War die unbefleckte Empfängnis in Wirklichkeit eine Vergewaltigung? Und ist Gott eigentlich ein Hund namens Chayenne? In MARIA MAGDA dekonstruiert Bungarten schonungslos misogyne, antifeministische und ausbeutende Erzählungen von Weiblichkeit und Sexualität. Dieses Stück ist ein Gewaltakt und eine Persiflage auf das Patriarchat.

Bad Kingdom

von Falk Richter

Ist das alles hier ein seltsamer Albtraum? Sehen wir Figuren in einem therapeutischen Rollenspiel? Oder sollte das alles am Ende vielleicht doch die Wirk­lichkeit sein? Etwas ist faul in diesem »bad kingdom« der Gegenwart. Seine Bewohnerinnen und Bewohner sind verun­sicherte Menschen in einer großen Stadt. Sie fragen sich, wie sie umgehen sollen mit dem Gefühl, inmitten einander sich immer schneller überlagernder Krisen allmählich den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sie suchen nach Wegen aus ihrer Einsamkeit oder schrecken zurück vor zu viel Nähe. Sie fragen sich, wie sie in ihren verwirrenden Beziehungen und Freundschaften, die sie führen oder gerne führen würden, Sicherheit und eine Zukunftsperspektive finden können. 

Gigantische Einsamkeit

von Paula Kläy

Im Haus am Ende der Straße ist gerade eben einer gestorben. Die Anwohnerschaft durchsucht den Nachlass auf Gegenstände, die sie in ihren Besitz nehmen könnte. Die Geschichten und Erinnerungen spinnen sich um die Dinge, laden die Gegenstände mit Bedeutung auf und erschaffen so ein Leben, das es nicht mehr gibt und so wahrscheinlich nie gegeben hat. Im Nachlass findet sich auch EIN KLEINER ROBOTERHUND, der ausgesandt wurde von der Firma Afterlife, um sich als Trauerbewältigungshelfer anzubieten. Er führt mit der Anwohnerschaft verschiedene Trauerrituale durch, auf der Suche nach dem wahrhaftigen Gefühl in der gigantischen Einsamkeit.

 

Neuigkeiten
Stockmann überschreibt Molnár

Ferenc Molnárs Stück DIE ROTE MÜHLE zeigt die Teufel bei der Arbeit. Mithilfe einer Menschenverderbungsmaschine programmieren sie einen ehrlichen Mann zu einem Spekulanten um. Jetzt, einhundert Jahre später, holt Nis-Momme Stockmann Molnárs Motive in die Gegenwart. In der Regie von Tom Kühnel ist das Stück seit Premiere am 28.09.2024 am Staatstheater Karlsruhe zu sehen.

Wilke Weermann: alle Zeit der Welt

ALLE ZEIT DER WELT betitelt Wilke Weermann sein aktuelles Stück (UA: 20.09.24, Schauspiel Frankfurt), dessen Theaterarbeiten spielerisch philosophische Fragen unserer Gegenwart mit Science-Fiction, Horror und Thriller verbinden. Diesmal führt er uns in eine Zukunft, in der Zeitreisen möglich sind, und zugleich an einen Punkt in der jüngeren Vergangenheit, an dem viele das Ende der Zeit befürchteten: Es ist der 31.12.1999, nachts. Im Aufenthaltsraum der Pension Schwartz flackert plötzlich ein bläuliches Licht. Eine Gestalt materialisiert sich…Peter Kümmel schreibt über den Künstler in der Zeit: »Wilke Weermann ist der Name eines der gewitztesten und versponnensten Regisseure des jüngeren deutschen Theaters. Seine Stücke, die er selbst verfasst und inszeniert, sind Schauergeschichten; sie erinnern auf den ersten Blick an alte Uhren, in denen eine Feder für zuverlässiges Suspense-Ticken sorgt. Aber wie Weermann die Uhren zerlegt und die Einzelteile zu etwas gespenstisch Modernem wieder zusammenbaut, ist sehenswert.«

Termine im Oktober

Im Oktober freuen wir uns auf viele unterschiedliche Premieren und Produktionen. Am 5.10. inszeniert Adrian Figueroa den Klassiker »Draußen vor der Tür« für das Schauspielhaus Düsseldorf. Es ist mittlerweile seine dritte Arbeit an dem Haus. Am gleichen Tag bringt Thom Luz seine neue freie Produktion - TOURIST TRAP - an der Kaserne in Basel zur Uraufführung. Am 12.10. zeigt das Wiener Burgtheater die Wiederaufnahme von »Peer Gynt« (Regie: Thorleifur Örn Arnarsson), während Anita Vulesica am Schauspielhaus Hamburg debütiert (»Die Maschine oder: Über allen Gipfeln ist Ruh«). Marco Štorman kehrt am 13.10. mit der Inszenierung »Arabella« an die Oper Bern zurück und Annika Lu arbeitet als Kostümbildnerin erneut an der Seite von Emre Akal, diesmal am Thalia Theater in Hamburg (»Barrrbie, ein Puppenheim am 17.10.). Jan Bonny, vor allem bekannt als Filmregisseur (u.a. »King of Stonks«, »Der Panther«, etc.), setzt sich ab dem 18.10. mit Klaus Mann  unter dem Titel »Man muß sich Mephisto als glücklichen Menschen vorstellen« auseinander (Schauspielhaus Düsseldorf). Am 19.10. nimmt das Münchner Residenztheater »Sternstunden der Menschheit« ins Repertoire; Die Koproduktion in der Regie von Thom Luz wurde im vergangenen Sommer erstmals bei den Salzburger Festspielen präsentiert. Beni Brachtel hat Musik für ein Orchester für die Uraufführung von Sibylle Bergs »Toto«geschrieben, es inszeniert Ersan Mondtag mit Premiere zum 24. Oktober an der Wiener Burg. Und nochmal Thom Luz: seine Produktion DAS IRDISCHE LEBEN wird ab dem 25. Oktober ins Repertoire des Staatstheaters Stuttgart übernommen. Am gleichen Abend zeigt Kay Voges am Volkstheater in Wien Jon Fosses »Der Name«. Aus unserer Sicht endet der Oktober dann bereits am 26.10. mit der Wiederaufnahme von LADY TARTUFFE von Stuhler / Koslowski am Theater Aachen.

Friedrich-Luft-Preis 2024 für Falk Richter

Falk Richters Inszenierung THE SILENCE erhält den diesjährigen Friedrich-Luft-Preis. »Keine Position ist hier eine absolute und Realitäten und Wahrheiten können sich verschieben. Auch deshalb ist dieser Abend auf so vielen Ebenen so klug, anregend und herzergreifend« bemerkt die Jury. THE SILENCE wurde bereits als eine der zehn bemerkenswerten Inszenierungen zum Berliner Theatertreffen 2024 eingeladen - ebenso zu den Mülheimer Theatertagen. Dimitrij Schaad erhielt für seine Darstellung in der Kritiker:innenumfrage von Theater Heute 2024 die Auszeichnung »Schauspieler des Jahres«. Der Friedrich-Luft-Preis ist mit 7500 Euro dotiert. Die Verleihung findet am Samstag, 12. Oktober 2024, im Anschluss an die Vorstellung von THE SILENCE in der Schaubühne statt.

Rasche eröffnet in Bochum

Das Schauspielhaus Bochum hat die aktuelle Spielzeit mit Ulrich Rasches Inszenierung von »Warten auf Godot« eröffnet. Die Süddeutsche Zeitung kommentiert: »Der Bochumer Rasche, der das erste Mal am Schauspielhaus arbeitet, genießt das Privileg, zu jedem der Werke, die er sich vornimmt, die je extravaganteste Inszenierung zu liefern. Becketts karge Naturszene hat Rasche durch eine apokalyptische Vision ersetzt, die frösteln macht. Man kann den ›Godot‹ natürlich als Transzendenz-Drama lesen, das ist Rasche aber zu schlicht. In seiner Lesart, die ein Ereignis darstellt, so großartig ist sie gespielt, streckt uns der pure Faschismus seine Fratze entgegen.«