Virtuos in Stuttgart: Olga Bachs »Im Ferienlager«
Viel Lob erhält Olga Bach für ihr aktuelles Stück IM FERIENLAGER, das Jessica Glause als Auftrag des Staatstheaters Stuttgart uraufgeführt hat.
»IM FERIENLAGER«, so heißt es bei Theater der Zeit, »von Olga Bach ist ein beziehungs- und anspielungsreicher Text, gespickt mit Geschichtsdetails, Film- und Musikzitaten. Die Stärke des Stücks besteht in seiner Fluidität und Mehrdeutigkeit: ein schillerndes Netz aus Schlaglichtern auf die Geschichte, aus Fakten, Gerüchten und blitzartig gestreiften Manifestationen von Psychoterror, Sozialdarwinismus und Gewalt. Bach skizziert bereits brüchige, ins Autoritäre driftende gesellschaftliche Milieus, die sie sprachlich mit Tendenzen der Gegenwart verlinkt. Bachs Text jongliert virtuos mit falschen Fährten und konkreten Spuren. Vordergründig dreht sich der Plot um eine Jugendfreizeit auf dem Land nahe Mannheim. In zweiter Ebene geht es um die schleichenden Problemzonen bestimmter Milieus der Weimarer Republik. Vieles bleibt absichtsvoll im Vagen. Bach zeigt subtil und verblüffend, wie vielleicht anfänglich noch nachvollziehbare Ideale sich langsam ins Gegenteil verkehren. Bachs Text über ein historisches Ferienlager verweist so auch unausgesprochen auf heutige Diskurse über die Erosion demokratischer Strukturen.«
In den Jahren zwischen 2016 bis 2021 schrieb Olga Bach regelmäßig Texte und Stücke, die Ersan Mondtag u.a. an den Münchner Kammerspielen, am Schauspiel Köln und an den Theatern in Basel und Bern zur Uraufführung brachte. Parallel zur Arbeit als Autorin trieb sie ihr Jura-Studium voran, daß sie 2024 als Voll-Juristin abschloss. In der Zwischenzeit entstand und erschien ihr Debüt-Roman »Kinder der Stadt« (Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2023).
von Paula Kläy
Im Haus am Ende der Straße ist gerade eben einer gestorben. Die Anwohnerschaft durchsucht den Nachlass auf Gegenstände, die sie in ihren Besitz nehmen könnte. Die Geschichten und Erinnerungen spinnen sich um die Dinge, laden die Gegenstände mit Bedeutung auf und erschaffen so ein Leben, das es ja nicht mehr gibt und so wahrscheinlich nie gegeben hat. Im Nachlass findet sich auch EIN KLEINER ROBOTERHUND, der ausgesandt wurde von der Firma Afterlife, um sich als Trauerbewältigungshelfer anzubieten. Er führt mit der Anwohnerschaft verschiedene Trauerrituale durch, auf der Suche nach dem wahrhaftigen Gefühl.
«Gigantische Einsamkeit» erzählt vom Umgang mit dem Tod und der Kommerzialisierung von Trauer. Von einer Maschine, die ein Gefühl behauptet und einer Gesellschaft, die um das ihrige ringt.
von Barbi Marković
In ihrem dritten Roman erzählt Barbi Marković die Geschichten von Mini und Miki und ihren Abenteuern im städtischen Alltag. Mini und Miki sind nicht von hier, aber sie bemühen sich, dazuzugehören und alles richtig zu machen. Trotzdem – oder gerade deswegen – werden sie verfolgt von Gefahren und Monstern, von Katastrophen und Schwierigkeiten. Es geht um die großen und kleinen Albträume des Mittelstands, um den Horror des perfekten Familienfrühstücks, um Mobbing am Arbeitsplatz und gescheiterten Urlaub, um den Abgrund, der sich im Alltag öffnet und nicht mehr schließen will. Der Roman »Minihorror« wurde mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2024 ausgezeichnet.
In Bungartens drittem Stück MARIA MAGDA trifft Horror auf Diskurs. Maria ist eine Schläferin und wird von ihren verzweifelten Eltern auf ein Kloster-Internat für schwer erziehbare Mädchen geschickt. Es heißt im Kloster der Magdalenerinnen sei einst der Hexenjäger Heinrich Kramer bei lebendigem Leibe verbrannt worden. Es heißt sein Geist geht um. Oder ist es doch der heilige Geist höchstpersönlich? Erst vor zwei Monaten ist ein Mädchen verschwunden. Das Mädchen, in dessen Bett nun Maria schlafen soll. Was verheimlicht ihre neue Zimmernachbarin Magda, welche verborgenen Kräfte schlummern in ihrer Freundin Hildie und was summt die Oberschwester Mutter Väterin nachts allein auf dem Gang vor sich hin? Wer ist hier Hexe und wer ist Nonne? War die unbefleckte Empfängnis in Wirklichkeit eine Vergewaltigung? Und ist Gott eigentlich ein Hund namens Chayenne? In MARIA MAGDA dekonstruiert Bungarten schonungslos misogyne, antifeministische und ausbeutende Erzählungen von Weiblichkeit und Sexualität. Dieses Stück ist ein Gewaltakt und eine Persiflage auf das Patriarchat.
In ihrem Hörspiel »Im Auges des Sturms« läßt uns Maxi Obexer an den Ereignissen des 6. Januar 2021 hautnah teilhaben, und zwar aus der Perspektive der Politiker*innen, die im Inneren des Kapitols so etwas wie eine letzte Bastion der Demokratie bildeten – oder diese einreißen wollten. In kondensierter Form und mit vielen O-Tönen wird dieser existentielle Kampf auf berührende und auch verstörende Weise erlebbar. Nun wurde die Produktion zum Hörspiel des Jahres gewählt und außerdem in die Liste der 100 besten Hörspiele der letzten 100 Jahre aufgenommen! Herzlichen Glückwunsch, Maxi Obexer.
Wir gratulieren Philipp Rosendahl (»Alice« am Staatstheater Cottbus), Helgard Haug (»All right. Good night«, Nachspiel am Theater Lindenhof in Melchingen), Adrian Figueroa (»Draußen vor der Tür«, Düsseldorfer Schauspielhaus) und Kay Voges (»RCE« am Berliner Ensemble) zur Auswahl zum Nachtkritik-Theatertreffen 2025. Ihre oben genannten Inszenierungen zählen zu den 10 ausgewählten Produktionen. An der Abstimmung nahmen 11.001 WählerInnen teil.
Wir freuen uns auf 15 Neujahr-Premieren im Januar: Am 11. 1.2025 wird am Staatstheater Stuttgart das neue Stück von Olga Bach - IM FERIENLAGER - uraufgeführt (Regie: Jessica Glause). Am 15. Januar inszeniert Christopher Rüping, frei nach Sophokles und Luc Besson, am Thalia Theater in Hamburg »Ajax im Rausch der Tiefe«, während an den Münchner Kammerspielen Paula Kläys GIGANTISCHE EINSAMKEIT zur Uraufführung kommt. Am Residenztheater ist Beni Brachtel mittlerweile langjähriges Team-Mitglied von Alexander Eisenach und verantwortet für die Produktion »Sankt Falstaff« die Musik (17.1.25). Am Staatstheater Wiesbaden bringt Marie Schleef Valeria Gordeevs »Er putzt« am 18. Januar als Uraufführung auf die Bühne. Mit »Druck« folgt am 23. Januar eine weitere Uraufführung, inszeniert von Ayşe Güvendiren für das Nationaltheater Mannheim. Insgesamt 8 Produktionen sind am 24. Januar zu sehen: In Bochum inszeniert Johan Simons »Meine geniale Freundin« in einer Bühne von Wolfgang Menardi, an den Münchner Kammerspielen zeigt Jan-Christoph Gockel (Bühne: Julia Kurzweg) die Stückentwicklung OH SCHRECK! Josa Marx entwirft für »Was ihr wollt« (Schauspiel Köln) die Kostüme, Lily Sykes, Jelena Nagorni und David Schwarz zeigen am Theater Münster »Paradise« von Kate Tempest, Christian Weise am Maxim Gorki »Carmen« und Jessica Weisskirchen »Moby Dick« am Staatstheater Hannover. Am 25. Januar gelangen in Coburg und am Essener Aalto Theater die Opern »Der fliegende Holländer« (Kostüm: Annika Lu) und »The Listeners« (Regie: Anna-Sophie Mahler, Bühne: Katrin Connan) zur Premiere und am letzten Tag des Monats zeigt das Staatstheater Wiesbaden die Übernahme von »Die Freiheit einer Frau« in der Inszenierung von Falk Richter. Happy New Theater allerseits!
Anna-Sophie Mahler hat am Wiener Volkstheater »Camino Real« von Tennessee Williams inszeniert. Im Zentrum der Arbeit steht - neben den Spielerinnen des Ensembles - die Band »Calexico«, auf einer Bühne vom Katrin Connan. Egbert Toll sieht in der SZ nicht weniger als die »Schöpfung eines neuen Genres«. Er beschreibt Anna-Sophie Mahler als »eine bedeutende Regisseurin, die (Musik-)Theater grundsätzlich anders denkt, immer wieder neu.« In Wien »begreifen sie und Burns die Musik als genauso semantisch aufgeladen wie Williams’ Worte. Wovon die Figuren schweigen, das erzählt die Musik. Der Abend hat Momente eines dunklen David-Lynch-Albtraums, aber Mahler bewahrt ihm ein helles Licht, die Idee einer Überwindung jedweder Unbill durch Schönheit, Poesie und Humor. Und natürlich: durch die Liebe.« Als »ungewöhnlichste Opernerfahrung des Jahres« bewerteten Kritikerinnen und Kritiker in ›Oper Heute‹ ihre achtstündige Aufführung von Olivier Messiaens "St. François d'Assise" an der Oper Stuttgart. Dort setzt Mahler ihre Arbeit in der Spielzeit 2025/26 vor.
Philipp Rosendahl hat sich für seine letzte Arbeit in Cottbus E.T.A. Hoffmanns »Sandmann« vorgenommen. Und verwandelt sie laut nachtkritik »in ein bezauberndes Gesamtkunst-Event.«
Sylvia Belka-Lorenz schreibt weiter: »Ein Theaterabend wie ein Rausch. An dessen Ende entlädt sich alle Beklemmung, alle Traurigkeit in einem psychedelischen Trip, einem Fest aus Farben, Körpern, Klang. Es gibt mehrere sehr schlaue Grundideen, die diesem Abend das Gerüst für großes Theater geben. Da ist die firlefanzfreie Bühne samt Lichtdesign von Mara-Madeleine Pieler. Da ist eine fantastische Liveband mit der eigens für die Inszenierung komponierten Musik der McDaniel Brothers. Und der beinahe genialische Kniff, jede der Figuren durch ein tänzerisches Pendant zu spiegeln. Wo es für die Angst keine Worte mehr gibt, da sprechen Körper und Klänge. Philipp Rosendahl hat hier den düsteren Gegenentwurf zu seiner grandiosen und bis heute permanent ausverkauften ›Alice‹ erschaffen. Noch eine Reise ins Unterbewusste, noch einmal nichts weniger als der Anspruch, sämtliche ästhetischen Grenzen zu verschieben.«
Im Alexander Verlag Berlin ist ein Werkbuch über die Theaterarbeiten von Christopher Rüping erschienen. Das von Vasco Boenisch und Malte Ubenauf herausgegebene Kompendium ist eine großartige Werkschau, die sich aber nicht als ermüdende wissenschaftliche Aufbereitung präsentiert, sondern als lebendiger Überblick, vor allem erzählt in Begegnungen und Gesprächen zwischen Rüping selbst und etlichen seiner Weggefährt*innen. Große Empfehlung!