Die Kunst der Wunde

Autor*in(nen)
Theater, UA: 28.11.2021, Schauspiel Leipzig
Inhalt

In DIE KUNST DER WUNDE geht es Katja Brunner um Würde und Ethik, um Identitätspolitik und mediatisierte Sprache mit dem Fokus auf soziale, politische und geschichtliche Körper und deren Zurichtung.
Sieben Mediziner*innen, Mütter*, Marius I und II, Kevin, ein Chor, ein Klappergestell: das Inventar von KUNST DER WUNDE, das sich um einen Felsen, der atmet und also irgendwie lebt, bewegt. Das Erziehen und Anpassen, das Vergleichen und Perfektionieren, die Konstruktion der »passenden« Identität beginnen direkt nach Geburt – doch Katja Brunner liefert Gebrauchsanweisungen für das richtige Leben im Falschen, für Wundpflege, Staatspflege, Felswerdung und Selbstwerdung.

Das Ausgesetztsein, Ausgeliefertsein und die Preisgabe des eigenen Schmerzes und der Verwundbarkeit, lassen sich hingegen nicht behandeln, nur verhandeln, und das Offenlegen der Wunden durchbricht identitätspolitische Diskurse. Demgegenüber steht der Fels und seine Nicht-Verwundbarkeit, da er nicht individualisiert, also nicht gebogen, verbogen und gebrochen werden kann.
Der »Staatssäugling«, um den wir uns alle drehen, den wir hegen und pflegen, der uns braucht und den wir brauchen, ist ein weiteres Gegenüber des Felsens. Wir sind doch schon tagein tagaus im Einsatz für sein Leben und Überleben – und wissen doch nicht genau, was ihm fehlt. Aber an irgend etwas krankt er doch, der Säugling, der behäbig und gemütlich, aber gleichzeitig dauergefräßig und unzufrieden unser Leben bestimmt. Im pulsierenden Stakkato werden die Grundpfeiler des Staatsgebildes untersucht, angekratzt und umgeworfen, ihrer eigenen Fragwürdigkeit ausgesetzt, können sie nichts mehr halten.

Rhythmisch und fordernd exerziert Katja Brunner Sprache (und Welt) anhand der Sprechenden, alles wird gekaut, verbogen und verdreht, bis sich die Fehler im System ganz von alleine dekonstruieren. Nach den Stücken DEN SCHLÄCHTERN IST KALT ODER OHLALAHELVETIA und DIE HAND IST EIN EINSAMER JÄGER legt die Autorin ihr Augenmerk nun auf die Verfaßtheit des Körpers und seine Verwundbarkeit in der Dimension des Politischen. Die Sichtbarmachung der Gewalt von Sprache beherrscht Katja Brunner auch mit viel Schalk, doch das Lachen will nicht recht den Hals verlassen.