Die Moskauer Prozesse

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Theater, Kongress, Performance, UA: 01.03.2013, Sacharow-Zentrum, Moskau
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Die Bilder des Schauprozesses gegen »Pussy Riot« gingen im Sommer 2012 durch alle Medien. Auf der ganzen Welt formierten sich Unterstützungsbewegungen, die Sängerin Madonna rief zur Freilassung der Kunstaktivistinnen auf und die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek verurteilte in einem übers Internet veröffentlichten Pamphlet den Prozess als »Ende aller Demokratie in Russland«. Wegen eines 5-minütigen Auftritts in der Moskauer Erlöserkathedrale wurden drei der Aktivistinnen von »Pussy Riot« schließlich zu 2 Jahren Haft verurteilt. Die Begründung: Verletzung der Gefühle Gläubiger, Gotteslästerung, Agitation gegen die russische Nation. Ein absurdes Urteil, das im Westen Entsetzen hervorrief.

Doch was als plötzliche Offenbarung eines autoritären Gottesstaats erscheint, hat eine lange Vorgeschichte. Sie beginnt mit Putins Wahl zum Ministerpräsidenten im Jahr 1999. Der ehemalige KGB-Agent sichert seine Herrschaft mit einem Schulterschluss mit nationalistischen und extrem orthodoxen Kreisen. Unmerklich verschwinden die chaotischen, aber liberalen Zustände, wie sie unter Gorbatschow und Jelzin geherrscht haben. Insbesondere die Künstler, die sich nicht nach den neuen Richtlinien einer regimetreuen, russisch-orthodoxen Staatskunst richten wollen, geraten ins Visier eines Systems, in dem Justiz, Geheimdienst und Medien eng zusammen arbeiten.

Mit der Zerstörung der religionskritischen Ausstellung »Vorsicht, Religion« im Jahr 2003 und dem darauf folgenden Prozeß gegen die Kuratoren ist der point of no return erreicht. Mit Billigung des Staates ruft der Moskauer Patriarch zur »Vertreibung der Dämonen« und zur »Rettung Russlands« auf. Nach einem Schauprozess entgehen die Ausstellungsmacher nur knapp der Verurteilung zur Zwangsarbeit, eine der Hauptangeklagten nimmt sich das Leben. In der Folge werden dissidente Kunstschaffende und Aktivisten konsequent ins Ausland oder die Illegalität getrieben – wie zuletzt die Aktivistinnen von »Pussy Riot«. »Dieser Prozess war der Tod der kritischen Kunst, er zerstörte das Milieu, in dem wir leben konnten«, sagte später der russische Kulturphilosoph Michail Ryklin in einem Interview.

DIE MOSKAUER PROZESSE zeichnet diese Geschichte einer staatlich und kirchlich inszenierten Kampagne gegen unbequeme Künstler nach – mit den Mitteln des politischen Theaters. Im Sacharow-Zentrum Moskau, wo die im Jahr 2003 zerstörte Ausstellung ›Vorsicht, Religion‹ stattfand, wird ein Gerichtssaal aufgebaut. In einem inszenierten Schauprozess mit den wichtigsten Exponenten des russischen Kulturkampfs tritt ›die Kunst‹ gegen ›die Religion‹ an, das ›dissidente‹ gegen das ›wahre‹ Russland.

Auf der Bühne stehen dabei nicht Schauspieler, sondern Akteure aus dem realen, politischen Leben: professionelle Anwälte, ein Verfassungsrichter, Zeugen und Experten aller politischen Couleurs. Im Stil eines Gerichtsdramas mit offenem Ausgang, in Kreuzverhören, Plädoyers und den Auseinandersetzungen am Rand des Prozesses entsteht so ein verstörendes und widersprüchliches Bild des heutigen Russland: Verletzt Putins Kulturpolitik die Meinungsfreiheit und die Menschenrechte? Oder ist es doch die Kunst, die die Gefühle der Gläubigen verletzt? Wer ist Angreifer, wer Verteidiger?

Nach drei Tagen fällt ein nach dem Zufallsprinzip ausgewähltes Schöffengericht aus 6 Moskauer Bürgerinnen und Bürgern ihr Urteil. Für oder gegen die Künstler, für oder gegen Putin.