Die Ängstlichen und die Brutalen
Die Brüder Eirik und Berg finden ihren Vater tot in seiner Wohnung auf. Was ist zu tun? Bestatter? Polizei? Im Sessel lassen, aufs Bett legen? Was klein beginnt und eine traurige Normalität des Lebens sein könnte, wächst sich schnell zur Extremsituation für die Brüder aus. Unter dem Hochdruck der Konfrontation mit der Leiche tritt einiges subtil und doch gnadenlos zu Tage: Die Angst vor dem Tod und der eigenen Vergänglichkeit, die sich ihnen durch den Vater darstellt - und auch ein namenloses Leid, dessen Ursache sich in diesem nicht finden lässt.
So ähnlich die Lage für die Brüder scheint, so unterschiedlich bewähren sie sich. Denn Berg entwickelt fast unmerklich eine erschreckende Bestimmtheit, die ihn auf ganze andere Wege führt, als zu erwarten wäre.
Und über allem schweben die überraschend auftauchenden Zettel des Vaters, Gedichte, Prosafragmente, die wegführen aus dieser Geschichte - in andere Beklemmungen oder andere Freiheiten.
Nis-Momme Stockman hat mit DIE ÄNGSTLICHEN UND DIE BRUTALEN ein kunstvolles Kammerspiel geschaffen, das gleichermaßen die unerträgliche Langsamkeit wie die zerstörerische Wucht des Aufeinandertreffens zweier Brüder mit dem toten Vater einfängt. Obwohl die Not der Brüder so konkret ist, bleibt der Text nicht hängen am Naheliegenden. Er bewahrt ein Geheimnis. Die Verstörung ist eine größere als die über den Anblick eines toten Vaters in einem Sessel.
Ein Stück über die gesellschaftlich institutionalisierte Distanz zum Menschlichen - der Parzellisierung und Funktionalisierung seines Lebens und seines Sterbens, seiner Liebe, seiner Ängste. Ein Text über die Dialektik von Angst und Brutalität, Knecht- und Herrschaft als treibende gesellschaftstrukturelle Kräfte – nicht nur zwischen Vater und Sohn.