Die kosmische Oktave

Autor*in(nen)
Theater, UA: 21.03.2014, Sophiensaele, Berlin
Inhalt

DIE KOSMISCHE OKTAVE – das sind acht Texte, die im Laufe einer gedanklichen Auseinandersetzung mit Goethes Wahlverwandtschaften entstanden sind. Vier Monologe, die in keiner expliziten chronologischen Ordnung stehen und sich mit den vier Hauptfiguren des Romans auseinandersetzen. Und vier kleinere Zusatztexte, die im weiteren Verlauf der Proben und im Dialog mit Regisseur und Spielern entstanden sind.

Es handelt sich dabei nicht um eine klassische Dramatisierung (also Handlungsüberführung). Vielmehr ist es ein Versuch, das »Aroma« von Goethes Figuren aufzunehmen und sie auf eine andere Textform und ein anderes Sujet zu überführen. Nicht ohne Grund. Goethes vier Hauptfiguren sind genau wie der postmoderne Mensch Teilhaber einer Gesellschaft im ideologischen Umbruch (und einer dadurch drohenden Erosion jeder größeren Wahrheit).

Stockmann spürt den Grundbedingungen des Romans nach und interessiert sich für die Entsprechungen der Kräfte und Rollen dieser Figuren im Heute. Die Arbeit beschäftigt sich so mit dem Stand der alten Werte und Wirklichkeiten - und mit möglichen Auswegen aus einem sich globalisierenden Relativismus und einer Krise der Begrifflichkeiten, durch die wir daran gehindert werden, uns zu verbinden, Schönes zu denken, Schönes zu empfinden, schön sein zu können.

Auszug

»Ich habe meine Eltern für ihren bigotten Lifestyleclash verachtet und dafür, daß ihre Ideologien zunehmend pastelliger wurden. Aber ich bringe es auf eine Spitze. Ich surfe die ganze Zeit auf der Klinge zwischen meinem Narzissmus und meiner Sehnsucht nach Teilhabe – die mich als Kind schon immer gespalten haben. Meinem Wunsch reinzupassen und meinen Wunsch herauszustechen. Meinem Bedürfnis, etwas zu teilen und dem, aus der Distanz bewundert zu werden. So wie tausend andere Menschen die mich umgeben. Und wenn ich ehrlich bin: Ich weiß nicht mehr genau woran ich eigentlich glaube – heute hier im Jahr 2014.

Wahrscheinlich daran, daß man an nichts glauben kann. Daß es keinen Unterschied macht, ob man etwas glaubt oder nicht. Oder noch ehrlicher: Vielleicht nur an mich. Und das bedauere ich tief. Ich sage nicht, daß man krötig auf seinen Ideologien hocken soll wie ihr Leben zurechtheuchelnde Altpunks. Was ich nur manchmal seltsam finde, ist – daß die Ideen und Vorstellungen, die als naiv und unzeitgemäß gelten – immer solche sind, die uns zu was Höherem berufen. Die nicht neoliberal sind. Die nicht zynisch und nicht bequem sind. Die von uns verlangen, daß wir uns in den Dienst von etwas Größerem stellen, für das wir Hingabe brauchen – zu dem wir uns bekennen müssen, für das wir uns exponieren und angreifbar machen müssen (denn jede Wahrheit macht angreifbar). Und so bescheuert es klingt: Für die wir arbeiten müssen. Und bei den ganzen bunten Möglichkeiten für unsere Individuation - gibt es eine riesige kollektive Sehnsucht (wie in den fünfzigern Hawaii) - Nach einer zweiten oder dritten Welt. Hinter der Profanen, an der wir uns mit allen Kräften beteiligen. Zu der wir uns durchgraben müssen. In der diese ganzen Gefühle, die wir auf halber Kraft halten, Sinn machen. Nicht albern, befindlich und peinlich sind. Sondern einen Raum haben. Sie nicht zerschellen müssen. An dem Geruch der Umkleidekabine unserer Schulen. An den Wohnungen in denen wir leben. An der Organisationsform unseres Miteinanders. An unseren prosaischen Vorstellungen von „Heute“ und „Morgen“. An den entzauberten Vorgängen und Formen. An der banalen Art, wie ich mein Leben führe und meine Umwelt ihr Leben führt. An unseren Vorstellungen von Individuation (die aus einem ehrenhaften Gedanken geboren ein krankes Eigenleben führt) – für die man keinen Millimeter Einschränkung verträgt. Und - so platt es klingt - an der zunehmenden Boshaftigkeit einer Gesellschaft, die sich unter Berufung von Realismus in die Normativität einhäkelt.

Und wer jetzt sagt, das ist alles übertrieben. Ich mache eine große Sache draus. Der soll sich vor mich stellen und mir sagen, daß es ihm nicht so geht. Daß es ihm nie so geht. Und daß er sich nicht nach einem Leben sehnt in dem ihm Worte wie „Liebe“ und „Hingabe“ über die Lippen gehen ohne peinlich berührt zu sein. In dem es etwas gibt, für das er sich schenken will – und empfinden möchte: In diesem schenken liegt was Gutes. Und der nicht weiß: Dieser Narzissmus und die Rücksichtslosigkeit zu denen wir erzogen werden und die wir uns erlauben – die sind mehr als eine Schrulle. 

Jeder weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Zukunft vor uns liegt – wie rohe, heiße Knete, die auf unsere Finger wartet. Und jeder weiß wie grau sie wirkt, wenn wir es nicht mehr schaffen zu diesem Gefühl vorzudringen. Also – für wen machen wir das?«