Fieber

Autor*in(nen)
Theater, UA: 03.06.2010, Maxim Gorki Theater
Inhalt

Diese Stadt ist krank. Sie hat Fieber, ist verlassen worden, sie riecht auch nicht gut und sie hat Minderwertigkeitskomplexe. Oder, wie es in FIEBER heißt: »die Stadt hat einen vergilbten Zettel auf der Stirn / Veritas steht da drauf / jemand hat Veritas durchgestrichen und Verlierer darüber geschrieben.« Die guten Zeiten sind vorbei für diese Stadt, in der einmal die Industrie blühte. Heute treibt der Anblick des Bahnhofs dem Betrachter Tränen in die Augen. Und wenn ein Fremder auftaucht, dann kann er nur gekommen sein, um sich das Leben zu nehmen.

Es gibt eine Erzählerstimme, die spricht eher sarkastisch als nüchtern und mit trockenem Humor. Es gibt die Stadt, die sich Unterlagen bestellt hat für eine Therapie, um ihrem Leben eine Wende zu geben. Um zu lernen, daß ihr »alle Türen offen stehen«. Und dann leben in dieser Stadt Kinder, Justin-Claudio, Sharon-Johanna und ihre Mutter Mimi, die raucht, obwohl sie wieder schwanger ist von Ramon, dem Versager. Ricarda lebt hier, aber sie will weg, hat die Koffer schon gepackt. Aber da ist sie immer noch, steht vor der Stadthalle und singt selbstgeschriebene Lieder von »Selbstmordcity«. Jan ist der Fremde, der gekommen ist, weil er hier einmal etwas verloren hat. Und Johan verschrottet die ganze Stadt. Für das Kino etwa hat er viel Geld bekommen. »Glaub der verkauft die ganze Stadt und baut dann eine neue«, sagt Mimi.

Juliane Kann schreibt das literarische Porträt einer Stadt, die in Wirklichkeit Wittenberge ist. FIEBER ist insofern ein Zeitstück, als die Suche ihrer Bewohner zwanzig Jahre nach der »Wende« eine heutige, spezifisch ostdeutsche ist. Die Vergangenheit ist eine wichtige Bezugsgröße, und die Frage nach dem, was Glück bedeuten könnte, bleibt unbeantwortet. Kann entwirft Szenen von umwerfender Komik und berührender Existentialität. Die Autorin stellt ihre Figuren nicht bloß, sie schaut nur sehr genau hin.

Auszug

»Die Stadt hat immer noch den mittlerweile vergilbten Zettel auf der Stirn. ›Veritas‹ steht da drauf. Jemand hat ›Veritas‹ durchgestrichen und ›Verlierer‹ darüber geschrieben.

Die Stadt: Menschen bilden eine Stadt bildet Menschen bilden eine Stadt bildet Menschen bilden eine Stadt, usw.

Es ist so.

Wenn jemand lange allein ist, dann kriegt er Macken. Was nicht unbedingt heißt, daß man ihn dann weniger mag. Es ist nur schwieriger.

Ich hab verloren. Ja. Aber ich will nicht, daß es dann irgendwo heißt, ich bin ein Verlierer. Ich hab Fieber. Bis jetzt ist noch kein Medikament gefunden. Man will mir keine falschen Hoffnungen machen.

Ich weiß, ich muß anfangen mich als das zu sehen, was ich jetzt bin, nicht als das, was ich mal war, was ich definitiv nie wieder sein werde.«