Illegale Helfer
Die vielzitierte Festung Europa fordert Opfer. Nicht nur von den Menschen, die in Nußschalen Meere überqueren, wie flüchtige Räuber über Land ziehen oder im Versteckten in ständiger Angst vor Entdeckung leben müssen. Sondern auch von jenen innerhalb der Festung, die diese Zustände nicht akzeptieren wollen und sich mit ihrem Helfen selbst in die Illegalität vorwagen.
Was für Menschen sind es, die so konsequent für ihre Überzeugungen eintreten? Ist das, was sie tun, selbstverständlich oder besonders? Und was sagt ihr Agieren über uns, die wir zusehen und maximal mal eine Online-Petition unterzeichnen?
Klar ist, sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft, sind Ärztinnen, Richter, Sozialarbeiter und Studentinnen; sie gehören allen Altersgruppen an und allen Schichten. Einige von ihnen waren als Aktivisten schon mehrfach straffällig; andere riskieren Beruf oder Beamtenstatus. Denn ihre Hilfe steht meist im Widerspruch zur Rechtslage oder befindet sich im Graubereich des Gesetzlichen, nämlich dort, wo menschliche Unterstützung zur Straftat wird.
Maxi Obexer hat in ILLEGALE HELFER reale Stimmen kondensiert und zu einer dichten, literarischen Reflexionsfläche verwoben, ohne beim Dokumentarischen zu verharren. Ihr Text eröffnet eine neue Perspektive auf eine vielbeleuchtete Thematik und stellt dabei - berührend und bedrückend zugleich - die bohrende Frage nach der eigenen Haltung.
Aus Anlaß der Uraufführung des Stückes ILLEGALE HELFER setzte sich Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung ausführlich mit der Arbeit von Maxi Obexer auseinander. Der Artikel geriert zu einem Plädoyer für Obexers akribische, langjährige und kluge Auseinandersetzung mit dem Thema ›Flucht‹.
»Maxi Obexer hasst das Unverbindliche. Sie ist fleißig, akribisch, auf stille Art sehr genau. Sie recherchiert. Für ihr neues Stück, ILLEGALE HELFER trug sie drei Jahre lang Material zusammen. Aber eigentlich begann die Arbeit daran vor mehr als zwölf Jahren. Damals fing Obexer an, sich mit Flüchtlingen zu beschäftigen, die nach Europa wollen. Der erste Fall, der ihr Interesse weckte: Weihnachten 1996, 283 Flüchtlinge ertrinken vor Sizilien. Fischer bergen Leichenteile, werfen sie zurück ins Meer. Die Bewohner der Küste schweigen jahrelang zu dem Vorfall, die Regierung erklärt das untergegangene Boot zum GEISTERSCHIFF. So lautete dann auch der Titel des Stücks, das Obexer darüber schrieb. Darin geht es auch um das langsame Zutagetreten der Wahrheit, um die Wiederkehr des gespenstischen Schiffes also, und auch darum, daß Fischer, die Flüchtlingen halfen, ihren Job verlieren konnten. Der Anstoß zum aktuellen Stück war aber gegeben: Wer Flüchtlingen hilft, handelt illegal. Das stimmt so zunächst natürlich nicht und würde all jene freiwilligen Helfer irritieren, die sich in den vergangenen Monaten etwa an deutschen Bahnhöfen um Flüchtlinge kümmerten. Aber es gibt viele, die ganz bewußt das Gesetz übertreten, um zu helfen. Genauer gesagt, quasi im Sinne Obexers: Sie verstoßen gegen die Gesetze der Nationalstaaten, in denen sie leben, halten sich aber an die Menschenrechte. Die tollste Figur in ihrem Stück würde man ihr nicht abnehmen, wäre sie erfunden. Es ist ein Verwaltungsrichter, der es irgendwann nicht mehr ertrug, Abschiebebescheid auf Abschiebebescheid abzustempeln. Dann kam eine Frau am Frankfurter Flughafen an, wollte nach Rom zu ihrer Tochter, doch der Bürokratie nach wäre sie, so der Richter, wohl jahrelang in verschiedenen Sammellagern festgehalten, mit Glück wegen ihres Alters irgendwann ›geduldet‹ worden. Nach Italien aber hätte sie es nicht geschafft. Also fuhr der Richter sie mit seinem Auto selbst zu ihrer Tochter. Über zwei Grenzen, voller Angst. Danach trank er am Bahnhof in Verona vier Gläser Whisky auf ex, bat, zurückgekehrt nach Deutschland, um Versetzung und verzichtete damit auf alle möglichen Karrierechancen. Es gibt auch aufrichtige Schleuser, denn nichts anders war der Richter in diesem Moment gewesen.«
Ausgezeichnet mit dem Robert Geisendörfer Preis 2016