Herzblut
Mit seinen 28 Jahren ist Martin Schaer gerade einmal doppelt so alt wie die meisten seiner Schüler. Tatsächlich aber ist er sehr viel weiter von den Erfahrungswelten und Bedürfnissen der Jugendlichen entfernt, als sein Alter vermuten ließe. Mit den beiden vierzehnjährigen Mädchen Yvonne und Nadine jedenfalls gerät der junge Lehrer sofort aneinander. Unter dem Strich sind es Lappalien, um die es geht: Respektlosigkeiten, offen zur Schau getragenes Desinteresse – ein beständiges Reiben an den Autoritäten. Schaer aber scheint kein probates Mittel zu finden, sich den pubertierenden und schwierigen Mädchen gegenüber zu positionieren. Schnell fühlt er sich auch als Person in Frage gestellt.
In seiner Kollegin Andrea findet er zunächst eine verständnisvolle Freundin. Als sich zwischen den beiden eine zarte Liaison entwickelt, scheint sich die Situation auch für Martin zu entspannen.
Als jedoch an einem Abend ein Drohanruf auf Martins Anrufbeantworter eingeht, nehmen die Dinge ihren unabänderlichen Lauf. Martin meint genau zu wissen, daß Nadine hinter dem Anruf steckt. Als die von ihm eingeforderten Sanktionen gegen das Mädchen ausbleiben, fühlt er sich von seinen Vorgesetzten im Stich gelassen und isoliert sich zunehmend. Hier geht es um nichts Geringeres als seine Existenz. Auch Andrea vermag kaum noch Einfluß auf den verunsicherten jungen Mann zu nehmen. Es scheint nur eine Frage der Zeit, wann Martin und Nadine wieder aneinandergeraten. Die Situation gerät außer Kontrolle.
Mit großen Gespür für seine Figuren und ihre jeweilige Situation hat Andreas Sauter die komplexen Erfahrungswelten und Bruchstellen, die im System Schule aufeinandertreffen, zu einer Chronik einer unvermeidbaren Katastrophe arrangiert. Mit scharfem Blick aus sieben Subjektiven kreist er Fragen ein, die weit über die Schicksale der einzelnen Figuren hinausreichen. Wie kann – scheinbar aus dem Nichts – eine ausweglose Situation entstehen, in der kein Schuldiger auszumachen ist und die Frage nach der eigentlichen Ursache unbeantwortet bleibt?
So ist HERZBLUT nicht nur das packende und tragische Psychogramm eines jungen Mannes, der an den Anforderungen seines Berufes zerbricht; vielmehr hat Andreas Sauter ein dramatisches Werk geschaffen, das ein umfassendes Bild der Überforderung und Hilflosigkeit von Lehrern und Schülern gleichermaßen zeichnet. Er leistet damit nicht zuletzt einen hintergründigen und multiperspektivischen Beitrag zur oft hitzigen, ideologisch verbrämten und oberflächlich geführten Debatte über die Zustände an unseren Schulen.