Lugano Paradiso

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Theater, UA: 22.03.2018, Theater St. Gallen
Inhalt

Alles andere als neutral war die Position der Schweiz im Kalten Krieg. Die in den 90er Jahren als Fichen-Affäre in die Geschichtsbücher eingegangene Aufdeckung der flächendeckenden Überwachung der eigenen Bevölkerung durch den Schweizer Staatsschutz, brachte auch das Ausmaß der rigoros anti-kommunistischen Linie des Schweizer Staates ans Licht. Die systematische Erfassung, Auswertung und Speicherung von personenbezogenen Daten von nahezu 800.00 Bürger*innen und Organisationen lässt sich wohl kaum einzig mit der Angst vor einer kommunistischen Infiltrierung rechtfertigen. Und wer hätte ahnen können, dass in der beschaulichen Schweiz eine krimireife Geheimorganisation – die P-26 – gegründet wurde, die im Ernstfall den zivilen Widerstand gegen den kommunistischen Feind organisieren sollte? Aber warum lernten die Agent*innen neben dem richtigen Verteilen von Flugblättern auch das effektive Bedienen von Schusswaffen? Auf welchen Wegen gelangten Schweizer Waren in die DDR? Schürten wirtschaftliche Interessen die Panik vor dem Feind aus dem Osten? Wer profitierte von der anti-kommunistischen Paranoia der Überwachung und Spionage – waren das schon Stasi-Methoden?

»Lugano Paradiso oder So schön wie dieses Jahr hat der Flieder lange nicht geblüht« spinnt anhand akribisch gesammelter Indizien aus Archivmaterial und Aktennotizen, aktuellen Interviews und historischen Gesprächsprotokollen ein Netz kaum zu entwirrender ökonomischer und politischer Verbindungslinien, folgt ihnen über sonst nur schwer passierbare Landesgrenzen, nimmt die Geschäfte der Ideologen, der Spieler und der Profiteure, der Aktivisten und derer, die die Hand aufhalten in den Blick und fragt: Welche Geschäfte werden im Dunkeln abgewickelt und welche Augen im richtigen Moment geschlossen? Letztlich stellt sich immer die Frage: Wen interessiert‘s? Bestimmen Angebot und Nachfrage den Preis einer Information.

Andreas Sauters akribische Recherche in Akten der Staatssicherheit und im Schweizer Bundesarchiv legt nahe: Überwachung und Spionage sind nicht die Spezifika einer einzigen Ideologie, sondern Ausdruck eines besonderen Ordnungswillens, einsetzbar und – wie die Geschichte gezeigt hat – eingesetzt, um unliebsame Elemente zu identifizieren und zu eliminieren. Die Methoden des Schweizer Staatsschutzes wirken im Angesicht moderner Überwachungsmöglichkeiten der digitalen Gesellschaft geradezu anrührend, die Hintergründe für die Überwachung scheinen aber stets die gleichen zu bleiben.

Was amerikanische Bunkerruinen im ewigen Eis Grönlands mit einer Wagenladung Fleischwurstdosen in einer Tessiner Lagerhalle zu tun haben könnten und was die Datensammellust des Schweizer Staatsschutzes in den Nachkriegsjahren mit ›unserer‹ Gegenwart verbindet, führt »Lugano Paradiso« als dramatisch-dokumentarische ›Cold-War‹-Choreographie vor Augen.

In der Vorschau zur Buch-Ausgabe im Verlag Theater der Zeit heißt es: »In dialogischen und chorischen Versuchsanordnungen montiert Sauter Figuren und Szenen, die zwar den schweizerischen Kosmos aufrufen, aber letztlich nur einen Schluß ziehen lassen: Schweiz ist überall.