Stille Nachbarn
Wie weit muß man gehen, um fremd zu sein, fremd zu werden, sich fremd zu fühlen?
Manchmal reicht schon der Weg ins gemeinsame Schlafzimmer, oder quer über den Flur. Ein ander Mal ist selbst ein Meer nicht breit genug, um die innigste Verbundenheit zu kappen.
Von dem, was uns auseinandertreibt, aber ebenso von der Sehnsucht, die uns wieder zueinander hinführt, spricht Azar Mortazavis neues Stück STILLE NACHBARN. Von Einzelschicksalen, die sich partout nicht in Statistiken einfangen lassen wollen. Von der großen Welt, die in die kleinste eindringt, und umgekehrt von dem Persönlichsten, aus dem Gesellschaft, Politik und Zeitgeschichte erst erwachsen.
Azar Mortazavi erzählt uns einen Mikrokosmos von vier Menschen, die wie einsame Planeten zu ihrem je eigenen Weg verdammt scheinen, während sie unvermeidlich die Bahnen der anderen beeinflussen, diese kreuzen und dabei manchmal kollidieren. Die eine hat Streß mit ihrer Mutter, die andere hat Streß mit ihrem Freund. Der wiederum hat Streß mit all den Leuten, die Streß haben, weil er so aussieht, wie er aussieht. Und das ist erst der Anfang. Das ist noch gar nichts!
Leyla begegnet den Ungeborenen und lächelt.
Charlotte kratzt Eisblumen von den Fensterscheiben.
Isabell vergräbt geheime Botschaften.
Ibrahim spricht in die Nacht.
Azar Mortazavis ebenso poetischer wie präziser Text zeichnet das Sittengemälde einer Gesellschaft, die sich im Wandel befindet, die um ein neues Selbstverständnis ringt, während sie zwischen sehr neuen und sehr alten Herausforderungen aufgerieben zu werden droht. Eindrucksvoll führt die Autorin vor Augen, wie schwer es ist, unser Gegenüber tatsächlich wahrzunehmen, und wie wir gerade dann verstummen, wenn wir am lautesten schreien.